KI im Gesundheitsbereich:
10 Thesen
Dieser Beitrag wurde in stark gekürzter Form im "Jahrbuch Gesundheit 2024" veröffentlicht und soll einen Überblick über Entwicklungen und Anwendungsmöglichkeiten von KI in allen Bereichen des Gesundheitswesens geben
Auch die Gesundheitsbranche steht am Beginn einer revolutionären Ära. Künstliche Intelligenz (KI) verspricht nicht nur eine Verbesserung der Effizienz und Qualität von der Forschung bis zur Patientenversorgung, sondern auch neue Arten der Gesundheitsdienstleistung. Von der präzisen Diagnostik über personalisierte Therapieansätze bis hin zur Automatisierung administrativer Prozesse – die Einsatzmöglichkeiten von KI sind vielfältig. Verwaltung, Forschung, Pflege und Behandlung können davon profitieren.
In diesem Artikel werden zehn Thesen entwickelt zum Potential des KI-Einsatzes im Gesundheitsbereich und einige Anwendungsfelder aufgezeigt, die das Potenzial, die vielfältigen Chancen und Herausforderungen von KI im Gesundheitswesen darstellen. Der Artikel ist aus einer KI-technischen Perspektive (und keiner medizinischen) verfasst, um einige exemplarische Denkräume und Potenziale aufzuzeigen. Da Generative KI ein relativ neues Phänomen ist gibt es heute kaum Best Practises oder empirische Impactstudien.
These 1
Erfolgreiche KI-Implementierung erfordert einen ganzheitlichen Blick auf die Technologie
Künstliche Intelligenz (KI) bezeichnet die Fähigkeit von Maschinen, kognitive Fähigkeiten wie Planen, Argumentieren, Problemlösen, Inhaltserstellung und Kreativität zu imitieren, die sonst nur Menschen besitzen. Für eine erfolgreiche Implementierung von KI im Gesundheitswesen ist es essenziell, sowohl die bewertende als auch die generative KI zu berücksichtigen.
Bewertende KI wird seit ca 15 Jahren entwickelt und analysiert bzw bewertet Inhalte. Beispiele im Gesundheitswesen sind:
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Bildanalyse: KI lernt aus Beispielen, Röntgenbilder zu bewerten und frühzeitig Anomalien zu erkennen.
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Wirkstoffsuche: KI kann aus einer immensen Anzahl an Molekülen diejenigen mit der höchsten Wahrscheinlichkeit auf eine bestimmte Wirkung hin effektiv herausfiltern.
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Patientenüberwachung: KI unterstützt sensorengestützt die automatisierte Patientenüberwachung und erkennt frühzeitig kritische Veränderungen des Gesundheitszustands.
Die generative KI hingegen ist eine relativ junge Entwicklung und kann eigenständig Inhalte wie Texte, Bilder und Musik erstellen. Ein prominentes Beispiel ist ChatGPT, das in der Lage ist, personalisierte Kommunikationsinhalte zu generieren.
Um KI erfolgreich im Gesundheitswesen einzusetzen, ist es entscheidend, beide Formen der KI zu integrieren. Die bewertende KI leistet unschätzbare Dienste bei der Analyse und der daten- sowie empiriegestützten Entscheidungsvorbereitung. Sie bietet die Grundlage für präzise und fundierte Entscheidungen, die die Qualität der Gesundheitsversorgung verbessern können.
Ein ganzheitlicher Ansatz bedeutet, die Synergien zwischen bewertender und generativer KI zu nutzen. Während die generative KI die Kommunikation und Interaktion mit Patienten personalisieren kann, sorgt die bewertende KI für die notwendige Datenbasis und Analyse, um diese Interaktionen fundiert zu gestalten.
Plakativ ausgedrückt: Was nützt uns die Fähigkeit, automatisierte und individualisierte E-Mail-Entwürfe zu erstellen, wenn die inhaltliche Zielrichtung nicht klar definiert ist? Nur durch den kombinierten Einsatz beider KI-Typen können wir die Potenziale der KI im Gesundheitswesen voll ausschöpfen und so eine effizientere, qualitativ hochwertigere und patientenzentrierte Versorgung sicherstellen.
These 2
ChatGPT&Co als aktuelle „KI- Stars“ haben die Gesundheitsbranche bereits erreicht.
Während die bewertende KI, die seit über einem Jahrzehnt erfolgreich eingesetzt wird, bereits signifikante Fortschritte ermöglicht hat, steht die Generative KI erst am Anfang ihrer Entwicklung. Generative KI-Systeme wie ChatGPT haben das Potenzial, die Verwaltung, den Büroalltag, Kommunikation und die Patientenbetreuung in der Gesundheitsbranche zu verändern. Diese Technologien können Routineaufgaben automatisieren und Mitarbeiter bei komplexeren Tätigkeiten unterstützen, wodurch beispielsweise die Effizienz und Produktivität in der Verwaltung sowie in der Dokumentation und Patientenkommunikation erheblich gesteigert werden können.
Eine Experimentierphase hat auch im Gesundheitsbereich bereits begonnen: Eine statistisch nicht-repräsentative Befragung österreichischer Marketing- und Kommunikationsexperten in der Pharma- und Gesundheitswirtschaft aus dem Jahr 2024 zeigt in diesem Ausschnitt des Sektors, dass es bereits eine substantielle Gruppe von Vorreitern (43%der Befragten) gibt, die generative KI bereits mehrmals im Monat erprobt oder einsetzt[1]. Allerdings liegt die Zufriedenheit mit diesen Anwendungen bei 2,7 (auf der Schulnotenskala), was den experimentellen Charakter und die noch offene Frage nach den besten Anwendungsfällen widerspiegelt. Die Befragung zeigt auch, dass stark skalierbare Anwendungen wie Chatbots oder personalisierte Kommunikation mittels generativer KI derzeit noch untergeordnet sind, mit Adaptionswerten von unter 10% während naheliegende Anwendungsfälle wie die Unterstützung von Text- und Ideengenerierung mit über 50% schon sehr verbreitet sind. Gerade bei den skalierbaren Anwendungen schlummert noch enormes Potenzial.
[1] KI-Branchenradar Marketing&Sales 2024 in der österreichischen Pharma- und Gesundheitsbranche, https://www.advantage-ai.at/ki-branchenradar
Vielfältige KI-Anwendungsfelder im Gesundheitswesen
Es heißt: Prognosen sind schwierig – vor allem, wenn Sie die Zukunft betreffen. Ich möchte aber auf Basis der heute bereits absehbaren technischen Leistungsfähigkeit von KI ein paar ausgewählte Anwendung aufzeigen, die substanzielle und positive Effekte auf das Gesundheitssystem haben können, insbesondere in den Bereichen Diagnostik, Behandlung und Therapieüberwachung, aber auch Forschung, Verwaltung und Patientenkommunikation. Die Auswahl der Anwendungen erhebt weder an Anspruch auf Systematik, Vollständigkeit noch drückt sie eine Präferenz aus.
These 3
Verbesserung der Behandlungsqualität: von Diagnostik bis Patientenaufklärung
KI hat das Potenzial, Ärzte in allen Phasen des Behandlungsprozesses zu unterstützen - von der Diagnose über die Therapieplanung bis hin zur Patientenaufklärung. Einige Anknüpfungspunkte:
Bessere Früherkennung von Krankheiten: Eine KI-gestützte und datengetriebene Diagnostik hat das Potential die Früherkennung von Krankheiten deutlich zu verbessern, aktuell zum Beispiel bereits bei aggressiven und zeitkritischen Erkrankungen wie Bauchspeicheldrüsenkrebs[1].
Verbesserte Qualität der Diagnostik durch KI-Unterstützung von Ärzten: KI kann als Diagnoseassistenzsystem für Ärzte auf Basis einer Anamnese in Echtzeit gewaltige Datenmengen nach ähnlichen Fällen durchsuchen und die Ergebnisse dem Arzt zur Diagnoseerstellung an die Hand geben. Diese Systeme können beispielsweise medizinische Fachliteratur, Patientendaten und aktuelle Forschungsdaten analysieren, um evidenzbasierte Hinweise zu geben. Insbesondere bei seltenen Erkrankungen wird das einen enormen positiven Effekt haben. Erste Studien zeigen auch, dass der unterstützende Einsatz von KI bei der Diagnose die Qualität deutlich verbessern kann[2].
KI-gestütztes Identifizieren der effektivsten Behandlungsmethoden: Eine KI-Modell hat jüngst die besten Behandlungsmethoden für Herzpatienten gegen die Gefahr von Schlaganfällen identifizieren können. Durch Training auf eine große Anzahl (anonymisierter) relevanter Krankengeschichten und Therapieformen und -erfolge konnte eine entsprechende Simulation erstellt werden, die für einen individuellen Patienten die erfolgversprechendste Therapie vorschlug. Die Genauigkeit dieser Prognose lag dabei höher als bei klinischen Versuchen[3].
Verbesserte Gesundheitskompetenz und Patientenformation: Generative KI hat das Potenzial, die allgemeine Gesundheitskompetenz erheblich zu stärken. Durch KI-generierte Inhalte wie individualisierte Lernvideos und Chatbots kann die Vermittlung von Gesundheitsinformationen verbessert und skaliert werden. Individualisierte Lernvideos können auf die spezifischen Bedürfnisse und das Verständnisniveau der Nutzer zugeschnitten werden, wie etwa ein Video für junge Diabetes-Patienten zur Blutzuckerkontrolle oder für Eltern zur Förderung gesunder Essgewohnheiten bei Kindern. Sie können interaktive Elemente wie Quizfragen oder Simulationen enthalten, um das Verständnis und Lernen zu fördern. Die Entwicklung solcher Programm aus bestehenden Informationen kann zunehmend KI übernehmen, genauso die Inividualisierung der Programme.
[1] https://hms.harvard.edu/news/ai-predicts-future-pancreatic-cancer
[2] zB https://jamanetwork.com/journals/jamainternalmedicine/article-abstract/2817046
[3] https://news.osu.edu/with-huge-patient-dataset-ai-accurately-predicts-treatment-outcomes
These 4
Intelligentes Gesundheitsmonitoring für bessere Prävention und zur Entlastung von Ärzten und Pflege
Wearables, Smart Home-Technologien und Gesundheits-Apps werden durch KI noch leistungsfähiger, weil sie diese gesammelten Daten analysieren und bewerten können, um beispielsweise präventiv auf gesundheitliche Risken hinzuweisen oder frühzeitig eine Verschlechterung des Zustandes eines Patienten durch automatisches Monitoring seiner Vitaldaten zu erkennen.
Die technische Entwicklung führt zu einer rasanten Auswertung relevanter Sensoren in unserem Alltag – vom Schrittzähler im Handy bis zur permanenten Messung von Puls und Sauerstoffsättigung in den meisten (nicht für medizinische Zwecke zugelassenen) Handys, Smart-Watches oder Fitnessringen. Die Daten aus diesen dauerhaft gemonitorten Vitalparameter können bei den meisten Geräten heute schon Ärzten oder medizinischen Institutionen zu Diagnostikunterstützung oder zum Monitoring zugänglich gemacht werden.
Im akuten Bereich erfassen Sensoren und KI beispielsweise wichtige Parameter wie Herzfrequenz, Blutdruck und Sauerstoffgehalt. Diese Daten werden analysiert, um Anomalien zu erkennen und sofortige Warnungen an das Gesundheitsteam zu senden. Dokumentiert ist bereits ein KI-unterstütztes EKG, dass als „KI-Spitals Alarm“ signifikant zur Früherkennung von lebensbedrohenden Zuständen bei Patienten beigetragen hat[1].
Das intelligente Gesundheitsmonitoring könnte bei der Überwachung von chronischen Erkrankungen wie Diabetes oder Bluthochdruck von Vorteil sein, indem die Patienten durch kontinuierliche Überwachung und rechtzeitige Interventionen unterstützt werden.
Prädiktive Analytik könnte zum Beispiel historische Patientendaten nutzen, um zukünftige gesundheitliche Ereignisse und Trends genauer zu prognostizieren. Durch die frühzeitige Erkennung von Risiken können Probleme verhindert oder behandelt werden, was zu besseren Behandlungsergebnissen führt. Auch im Bereich des Assisted Living, also des selbstbestimmten Wohnens von Senioren, verspricht die Kombination aus moderner Sensorik und Datenanalyse einen deutlichen Gewinn an Lebensqualität und Effizienz gleichermaßen.
Durch solches Echtzeit-Monitoring, Früherkennung von Risiken und automatisierte Warnungen kann KI die Diagnosen verbessern, das Pflegepersonal entlasten und die Patientensicherheit erhöhen.
These 5
KI wird mittelfristig die Pharmaforschung revolutionieren – in Qualität und Quantität.
KI kann den pharmazeutischen Entwicklungsprozess in allen Phasen beschleunigen und verbessern - vom Design neuer Moleküle über die Vorhersage potenzieller Wirkungen bis hin zur rascheren Entdeckung alternativer Anwendungen für bestehende Medikamente. Erste Erfolge gib es bereits: Auf Grundlagenforschungsebene wurde mittels eines KI-Modells ein neues, grün fluoreszierendes Protein entwickelt, das von den bestehenden, ähnlichen Proteinen so weit entfernt ist, dass die Natur geschätzte 500 Mio Jahre gebraucht hätte, um es durch natürliche Selektion hervorzubringen[1]. Einige durch KI-Unterstützung entdeckte Wirkstoffe befinden sich bereits in der klinischen Testphase und 2020 wurde am MIT mittels einer KI ein neues Antibiotikum entdeckt, das E.coli Bakterien bekämpfen kann[2].
Um das gewaltige Potential in der Pharmabranche zu beschreiben, führen wir uns vor Augen, dass hier 90 Prozent aller Vorhaben entweder in der vorklinischen oder klinischen Phase scheitern und selbst nach der Phase III nur knapp 80 Prozent der Entwicklungen eine Zulassung erhalten.
Roche hat allein die Zeitersparnis ihres aktuellen KI-Einsatzes im vorklinischen Bereich mit 18 Monaten bei durchschnittlich 9,4 Jahren Entwicklungszeit bis zu einer erfolgreichen Zulassung beziffert – also von fast 16 Prozent. Bei durchschnittlichen Entwicklungskosten von 5 Milliarden Euro pro Medikament bei Roche wird deutlich, wie viel positiven Impact eine qualitative und quantitative Verbesserung dieses Prozesses haben kann[3].
Ein Wirkstoff gegen Fibrose (eine krankhafte Vermehrung des Bindegewebes), der mit Hilfe von KI entdeckt wurde befindet sich aktuell schon in der klinischen Phase. Die Kosten der Entwicklung bis zur präklinischen Phase beliefen sich laut Auskunft des Unternehmens auf 850.000 Euro, der Aufwand für andere vergleichbare Entwicklungen soll bei 650 Mio Euro liegen[4]. Allgemeine Schätzungen gehen davon aus, dass der Einsatz von KI im gesamten Pharma Forschungs- und Entwicklungszyklus Einsparungen zwischen 25 und 50% bringen kann[5].
Daneben kann KI auch eine Welle an neuen Entdeckungen möglicher Off Label Verwendungen bereits bestehender Medikamente auslösen, was zu einem exponentiellen Fortschritt in der Pharmakologie führen kann.
Auch personalisierte Medizin rückt in greifbare Nähe, um individuelle Wirkeffizienz zu erhöhen oder individuelle Nebenwirkungen zu Antizipieren. Die damit verbundene gesteigerte Behandlungseffizienz und geringere Nebenwirkungen führen zu einer Verbesserung der Heilungschancen.
[1] https://www.evolutionaryscale.ai/blog/esm3-release
[2] https://www.pharmazeutische-zeitung.de/neues-superantibiotikum-ex-silico-115843/
[3] https://www.handelsblatt.com/unternehmen/industrie/pharmabranche-roche-will-entwicklung-neuer-medikamente-mit-ki-drastisch-beschleunigen/100042691.html
[4] https://www.plattform-lernende-systeme.de/files/Downloads/Publikationen/AG6_WP_Wirkstoffforschung_2024.pdf
[5] https://www.plattform-lernende-systeme.de/files/Downloads/Publikationen/AG6_WP_Wirkstoffforschung_2024.pdf
These 6
Effizienzsteigerung in der ambulanten und stationären Verwaltung
Der allgemeine Trend, durch Generative KI die Verwaltungsarbeiten zu unterstützen oder zu automatisieren und dadurch Prozesse zu optimieren und Effizienz zu steigern wird auch im Gesundheitsbereich schlagend. Ein paar Beispiele: Automatisierte Terminvereinbarungen durch KI-Call Center, umfassende teilautomatische Dokumentation von zB Anamneseerhebungen oder der Therapie oder anderweitigem Aktualisieren von Patientenakten, Automatisches Erstellen von Entwürfen für Arztbriefe. All das wird Ärzte, Pfleger und Verwaltungspersonal entlasten, damit diese sich stärker auf die Patientenversorgung konzentrieren können. Das wird auch dazu beitragen, den Fachkräfte- und Arbeitskräftemangel in diesem Bereich ein wenig zu entschärfen.
Laut einer aktuellen Studie aus Deutschland sind Ärzte und Pfleger in deutschen Spitälern jeweils fast 3 Stunden pro Tag mit Dokumentation oder anderen bürokratischen Tätigkeiten beschäftigt[1], ein Befund der in der Vergangenheit in ähnlichem Ausmaß auch für Österreich festgestellt wurde[2].
[1] Deutsches Krankenhaus Institut (2024): Aktuelle Bürokratiebelastung
in den Krankenhäusern, Quelle: https://www.dki.de/fileadmin//user_upload/2024-07-31_Blitzumfrage_-_Aktuelle_Buerokrtiebelastung_-_finale_Fassung.pdf
[2] https://www.aerztekammer.at/documents/261766/235514/Presseunterlage.pdf/e887abd5-d91b-59fb-a77b-dd3e4fc37440
These 7
Automatisierung und Effizienz im verwaltenden Gesundheitswesen
Wie in allen großen Verwaltungsorganisationen bergen bewertende und generative KI auch großes Potential für die Verbesserung von Abläufen und Servicequalität im verwaltenden Gesundheitswesen wie Kassen oder Spitalsbetreibern: Datenanalysen können zB durch „Process Mining“ (das datengestützte Analysieren von Schwachstellen in bestehenden Prozessen) insbesondere in großen Institutionen zu einer Verbesserung von Verwaltungsprozesse führen um diese zu optimieren. Und vorhandene freie Ressourcen im Gesundheitssystem lassen sich in Echtzeit besser mit dem aktuell bestehenden Bedarf durch datengesteuerte Lenkung von Patientenströmen verbinden. Krankenkassen nutzen KI häufig auch bereits, um – ähnlich wie Kreditkartenfirmen - potentielle Betrugsfälle in Transaktionen zu identifizieren. Auch bei der Verarbeitung von Anträgen oder bei Abrechnungen kann die aktuelle KI-Generation noch viel an Automatisierungspotential beim Einlesen und Verarbeiten standardisierter Prozesse beitragen. Und natürlich gibt es auch hier enormes Potential durch Generative KI wie automatische Call Center oder textbasierte Chatbots einen rund-um-die-Uhr Kundenservice zu gestalten, der hochgradig automatisiert und skalierbar ist.
These 8
Fortschrittliche Robotik als „next big thing“
Die Entwicklung von multimodalen Sprachmodellen (die nicht nur Text verstehen und verarbeiten können, sondern auch Sprache, Bilder, Video oder Sensorinputs zur Orientierung, wie weit ein bestimmtes Objekt noch entfernt ist) wird der modernen Robotik in naher Zukunft einen weiteren Qualitätssprung bescheren. Durch die enorm gesteigerte Interpretationsfähigkeit, die Flexibilität und Orientierung, die Sprachmodelle auch für die Robotik bringen. Alle Fragen der Akzeptanz einmal ausgeklammert, stehen wir technisch gesehen an der Schwelle von Robotern, die Ärzte und Pfleger bei Behandlungen oder Operationen unterstützen und irgendwann beginnen werden diese auch (teil)automatisch zu übernehmen (wie eine erste, experimentelle Zahnbehandlung durch einen Roboter[1]) oder erste unterstützende Tätigkeiten in der Pflege zu erledigen. Soziotechnische Ansätze zur Wahrung der Patientenwürde und der sinnstiftenden Arbeitserfahrung für Pflegepersonal bei gleichzeitigem Heben der technischen Unterstützungspotential werden aktuell bereits beforscht[2].
Im Zeitalter des alleine demographiebedingten Arbeits- und Fachkräftemangels deutet diese Entwicklung eine potentielle Lösung einiges der großen, gesellschaftlichen Probleme an.
[1] https://futurezone.at/science/robo-zahnarzt-fuehrte-erste-behandlung-menschen-durch-perceptive-usa/402931194
These 9
Wenn Daten das neue Öl sind, benötigt das Gesundheitswesen mehr Förderpumpen
Wenn wir heute über Künstliche Intelligenz sprechen, meinen wir fast ausschließlich Systeme auf Basis von Maschinellem Lernen, die aus Beispieldaten die Lösung einer Aufgabe erlernt. Das Vorhandensein solcher Beispieldaten ist daher konstitutiv für die erfolgreiche Entwicklung solcher Systeme. Das betrifft das potenzielle Erschließen bestehender Daten als auch die neuen Möglichkeiten durch Sensorik und KI, viele Aspekte der Welt, die wir für vertretbar und geeignet halten, automatisch in Form strukturierter und verwertbarer Daten zu bringen und zu erschließen. Alle Arten von Daten können dafür wertvoll sein: Anonymisierte Transkripte besonders gelungener Beantwortung von Patientenfragen via Email oder Telefon sind Grundlage für die Entwicklung von automatischen Kommunikationssystemen zur qualitativ hochwertigen Beantwortung, das Sammeln anonymisierter Vital- und Maschinendaten aus Operationssälen kann KI-Systeme zur frühzeitigen Erkennung von Komplikationen trainieren oder das Auswerten anonymisierter Prozessdaten von Genehmigungsprozessen in großen Organisationen kann genauer als die menschliche Analyse spezifische Schwachstellen in Prozessen erkennen, die eine wertvolle Basis für Reorganisationen sein können.
Aus vielen anekdotischen und empirischen Befunden ergibt sich für weite Teile Europas aktuell – weit über den Gesundheitsbereich hinaus - das Bild, dass wir die Herausforderung noch nicht gelöst haben, diese Daten zu sammeln, entsprechend aufzubereiten und zur Nutzung verfügbar zu machen.
Politisch gibt es mit dem europäischen Datengesetz und dem Data Governance Act erste Schritte, um den sicheren Austausch und die Datenverwertung durch zB freiwillige, anonymisierte „Datenspenden“ (wie das in Österreich zum Beispiel gerade durch das Projekt „SmartFox“ angeboten wird[1]) oder das Verfügbarmachen von (nicht-personenbezogenen) Maschinen- und Industriedaten zu unterstützen. Das Gesetz zum „Europäischen Raum für Gesundheitsdaten“ stellt speziell für den Gesundheitsbereich eine Infrastruktur zur freiwilligen Verwendung von Gesundheitsdaten (für Diagnosen in anderen Ländern bis zur Verwertung in der medizinischen Forschung) und dem sicheren Austausch innerhalb der EU zur Verfügung. Das muss aber alles erst mit Akzeptanz und Leben erfüllt werden. Bedenken zur Verwendung sensibler Daten können zunehmend durch technische Entwicklungen zur sicheren Datenverarbeitung begegnet werden. Durch spezielle Verschlüsselungstechnologien können Daten heute bereits für (einige) Verarbeitungen verwendet werden, ohne dass der Verarbeiter Kenntnis der spezifischen Daten selbst erlangt. Generative KI, auf der anderen Seite, verfügt neben der Fähigkeit zum Schreiben von Gedichten zum Beispiel auch die Fähigkeit zum Erstellen ganzer synthetischer Datensätze – also Datensammlungen, die in ihrer Gesamtheit bestimmte statische und inhaltliche Eigenschaften haben, aber diese ausschließlich aus erfundenen Einzelbeispielen zusammenbaut. Und Künstliche Intelligenz hilft auch neue Ebenen der sicheren Anonymisierung von sensiblen Daten wie Gesundheitsdaten zu erreichen[2].
Wenn wir die Herausforderung des Datenzuganges für den Gesundheitsbereich lösen möchten, muss das an der Schnittstelle von (nationalen und europäischen) gesellschaftlichen Debatten, des breiten institutionellen Willens, der technischen Infrastruktur und der Erprobung neuer, KI-basierter Ansätze für die sichere Erschließung und Verarbeitung von Daten geschehen.
Die Zeit läuft uns aber rasch davon und technisch gesprochen ist es auszuschließen, dass wir das Potential von KI heben werden ohne auf breiter Basis passende und qualitativ hochwertige Daten zur Verfügung zu haben.
These 10
Ethik und Compliance: Die Debatte, was wir mit KI im Gesundheitswesen auf welchem Weg erreichen möchten, muss rasch und breit geführt werden.
Dieser Beitrag ist wie Anfangs festgehalten aus einer technischen Perspektive verfasst. Last but not least kommt er natürlich auch auf den Elefanten im Raum zu sprechen: Die Einführung von Künstlicher Intelligenz (KI) im Gesundheitswesen erfordert besondere Aufmerksamkeit in den Bereichen Ethik, Recht und Compliance. Die sensible Natur von Gesundheitsdaten und die potenziellen Auswirkungen auf Patienten machen eine gründliche Auseinandersetzung mit diesen Themen unerlässlich. Angesichts des rasanten technischen Fortschrittes benötigt es daher eine breite Debatte, wie wir diese Entwicklungen einordnen, wie wir sie in Bezug auf bestehende Ziele wie Datenschutzvorstellungen bewerten, wo wir mittels neuer technischer Möglichkeiten zur Implementierung entlang des bestehenden gesellschaftlichen Konsenses Umsetzungspotential sehen und wo es möglicherweise Fragen gibt, die nur durch eine neue Prioritätensetzung zu entscheiden wären. Wie auch immer diese Debatte ausgeht - wichtig ist sie rasch und breit zu führen, um Chancen und Herausforderungen transparent darzulegen und – in die eine oder andere Richtung – rasch zu entscheiden, um die entsprechenden Umsetzungsschritte einleiten zu können.